Immer mehr Privatärzte, monatelange Wartezeiten auf OP-Termine, überfüllte Ambulanzen, Personalmangel – die Liste der Probleme im Gesundheitssystem ist lang und wird immer länger. Viele fragen sich, ob das Ruder überhaupt noch herumgerissen werden kann. Kommende Woche starten ÖVP und SPÖ die Sondierungsgespräche, der Sektor Gesundheit wird dabei ein zentraler Punkt sein.
200 Experten und Entscheidungsträger haben konkrete Empfehlungen für Verbesserungen für die nächste Regierung erarbeitet. Beim diesjährigen Austrian Health Forum in Bad Hofgastein standen zwei zentrale Themen – Prävention sowie Digitalisierung und Datennutzung – im Zentrum.Es braucht mehr PräventionMeinhild Hausreither, Sektionschefin im Gesundheitsministerium, fasste die Lage folgendermaßen zusammen: „Die Anzahl der in Gesundheit verbrachten Lebensjahre liegt in Österreich unter dem Durchschnitt vergleichbarer Länder. Deshalb gilt es, Gesundheitsförderung, Gesundheitskompetenz und Prävention auszubauen.“Künftig automatische Impf-Erinnerung?Die Teilnehmer der Konferenz waren sich darüber einig, dass Impfungen ein wichtiges Instrument der Vorsorge sind und die Ausrollung eines e-Impfpasses mit Einladungs- und Erinnerungsfunktion nötig ist. ÖGK-Obmann Andreas Huss: „Impfen ist eine zentrale Aufgabe der österreichischen Gesundheitsvorsorge.“ Diskutiert wurde einmal mehr auch über Impfen in Apotheken.Jakob Hochgerner, Gesundheitsdirektor des Landes Oberösterreich, schlug vor, die empfohlenen Impfungen bereits als Leistungen der Krankenversicherung im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) zu verankern: „Selbstverständlich muss die Krankenversicherung dafür auch ausreichende Ressourcen erhalten. Die Bundesländer könnten mit ihren Strukturen Vertragspartnern und kräftige Unterstützer eines nationalen Impfprogramms der Krankenversicherung sein.“Popper: „Menschen können dann frei entscheiden“Die Wichtigkeit von Informationsaustausch unterstrich Simulationsforscher Niki Popper: Die Wissenschaft könnte aus vernetzten Daten dynamische Evaluierungsmodelle zeichnen, auf deren Basis vernünftige Entscheidungen getroffen werden können. „Wir können dann simulieren, wie sich eine bestimmte Intervention, beispielsweise eine Impfung, auswirken wird. Auf Basis dieser Informationen können die Menschen frei entscheiden.“ Allerdings fehlten oft noch die nötigen Daten: „Wenn wir solche evidenzbasierten Modelle entwickeln wollen, brauchen wir Daten in einer Qualität, von der wir jetzt noch sehr weit entfernt sind.“Kommunikation verbessern und Daten nutzenAuch die anderen Teilnehmer waren sich beim Wunsch nach besserer Gesundheitskommunikation und einer gezielten Nutzung von Gesundheitsdaten und Digitalisierung einig. „Wenn es uns nicht gelingt, Digitalisierung optimal einzusetzen, werden wir die Bevölkerung nicht optimal versorgen können“, erklärte Peter Lehner, Obmann der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS).Laut einer Integral-Umfrage achten 66 Prozent der Österreicher „sehr“ oder „eher“ auf einen gesunden Lebensstil, nur 5fünf Prozent tun das „überhaupt nicht“. 70 Prozent, fühlen sich „sehr“ oder „eher“ gesund, nur sieben Prozent fühlen sich nicht gesund. Etwas weiter geht die Schere beim Impfthema auf: 64 Prozent achten darauf, dass sie „alle Impfungen rechtzeitig bekommen“, 14 Prozent tun dies „überhaupt nicht“. Befragt wurden 1000 Menschen im August 2024.Diskutiert wurde auch über Gesundheitsportale und die telefonische Gesundheitsberatung 1450. Laut der Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, sind anonyme Anlaufstellen wie 1450 zwar gut und wichtig, aber nicht ausreichend, es braucht auch persönliche Anlaufstellen. „Die Menschen müssen ein Gesamtbild haben von der eigenen Gesundheitssituation und jener der eigenen Familie.“Informationen müssen zusammengeführt werdenIm jetzigen System mache jeder, was er will. „Wir brauchen eine effiziente Lenkung der Patienten“, meinte Ärztekammer-Vizepräsident Harald Mayer. So sollten bereits erhobene Gesundheits-Informationen für Patienten und Behandler abrufbar sein, Terminerinnerungen zeitgerecht ausgesendet und Neuigkeiten – etwa ein Spitalsbesuch – direkt erfasst werden. Das gewünschte Ergebnis: „Durch mehr Informationsaustausch zwischen den Gesundheitsberufen, durch mehr Gesundheitskompetenz und mehr Interaktion mit den Patienten kann die Behandlung besser werden“, so Verena Nikolai, Abteilungsleiterin im Gesundheitsministerium.Wie eine effiziente Lenkung aussehen kann, wurde am Beispiel von COPD verdeutlicht. Die im Volksmund auch als „Raucherkrankheit“ bekannte chronische Lungenkrankheit zählt zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Primar Arschang Valipour von der Klinik Floridsdorf dazu: „Eine Ohrfeige ist weniger als zwei Ohrfeigen – so ist es auch bei E-Zigaretten. Sie sind vom aktuellen Forschungsstand ausgehend weniger belastend als ‘normale‘ Zigaretten. Aber die Jungen fangen damit an und 80 Prozent davon beginnen später zu rauchen. Es sind Chemikalien und Aromen enthalten, die sogar eigene Folgeerkrankungen nach sich ziehen können.“Datenschutz als SorgenkindIm Zusammenhang mit digitalen Lösungen ist der Datenschutz besonders relevant, wie die deutsche Datenschützerin und Autorin Leena Simon betonte. „Es gibt legitime Gründe, um Daten zu sammeln, nicht nur für die Wissenschaft. Aber diese sensiblen Daten können wir nur mit starkem Datenschutz erhalten. Ohne wären sie unvollständig und unkorrekt. Datenschutz ist kein Verhinderer, sondern viel mehr Wettbewerbsvorteil, der Vertrauen schafft.“ Vorsorge als Schlüssel für gesundes LebenEine weitere Forderung des Austrian Health Forum betraf Prävention und Gesundheitsbewusstsein. Versicherte sollten Anreize für richtiges Verhalten bekommen. „Fast 30 Prozent der Menschen steigen übergewichtig ins Erwachsenenleben ein, bis zur Pension steigt dieser Wert auf 50 Prozent.Wir müssen daher schon bei den Kindern und Jugendlichen ansetzen, mit Maßnahmen für mehr Bewegung und gesündere Ernährung – und das muss bundesweit koordiniert werden. Dafür braucht es ein Präventionsgesetz, das einen verpflichtenden Ansatz verfolgt, bei dem die gesetzten Maßnahmen auch einem einheitlichen Monitoring unterliegen“, so Wolfgang Panhölzl von der AK-Wien.