Viele Experten glaubten im Vorfeld der Wahl, dass seine sexistischen und teilweise auch als rassistisch ausgelegten Kommentare Donald Trump ins Hintertreffen bringen könnten. Doch das Gegenteil war der Fall. Warum das so ist und woher der „scheue Trump-Wähler“ kam, analysiert unser US-Korrespondent Christian Thiele.
Mit seinem Sieg gegen Kamala Harris schrieb Trump US-Geschichte: Er ist erst der zweite Präsident, zwischen deren Amtszeiten eine vierjährige Pause lag. Damit zieht er mit dem demokratischen Präsidenten Grover Cleveland gleich, der 1884 zum 22. Präsidenten gekürt wurde, 1888 gegen Benjamin Harrison verloren hatte, um dann 1892 erneut zu gewinnen.Das Rennen galt laut fast aller Umfragen im Vorfeld als zu knapp, um eine wirkliche Gewinnprognose abzugeben. Viele Experten glaubten, dass insbesondere Trumps sexistische und teilweise auch als rassistisch ausgelegte Kommentare auf Wahlkampfveranstaltungen ihm bei der Wahl ins Hintertreffen bringen könnten. Das Gegenteil war der Fall. Denn die Auswertungen der einzelnen Bezirke zeigen, dass seine eingefleischten Anhänger gerade wegen solcher Kommentare noch motivierter waren, für den Republikaner zu stimmen.Konnte bei Latino-Wähler klar punkten – trotz der HetzeIn fast allen republikanischen Hochburgen der Swing States konnte Trump seine Ergebnisse von 2020 steigern. Dazu verbesserte er laut Wählerbefragung in den Swing States am Wahltag den Anteil der Latino-Wähler um 13 Prozentpunkte gegenüber der letzten Wahl. Und das, obwohl er gegen die meist aus Lateinamerika stammenden illegalen Immigranten böse gehetzt und sie als „Vergewaltiger“ und „Mörder“ hingestellt hatte. Dazu hatte ein geladener Sprecher bei seiner Wahlkampfveranstaltung im New Yorker Madison Square Garden Puerto Rico als „im Ozean schwimmenden Müll“ bezeichnet. Das schreckte die zwölf Prozent der wahlberechtigten Amerikaner mit lateinamerikanischen Wurzeln nicht ab, für Trump ihre Stimme abzugeben. Von Latino-Männern bekam er sogar eine Mehrheit (54 Prozent). Der Hauptgrund: Wirtschaftliche Unsicherheit, die sie der Biden-Harris Regierung ankreiden.Sogar weniger Frauenstimmen für Harris als 2020 für BidenIm Wahlkampf hatte Vizepräsidentin Harris versucht, mit dem Thema Abtreibungsrechte und körperliche Selbstbestimmung den Anteil der Wählerinnen für sich in die Höhe zu treiben. Damit wollte sie ihren Riesen-Nachteil gegenüber Trump bei weißen Männern aus unteren Bildungsschichten in den Swing States ausgleichen. Zwar konnte Harris mit ihrer Strategie mehr gebildete weiße Frauen der Gen Z Generation auf ihre Seite ziehen, doch im Gesamtbild machte es keinen Unterschied. Sie erhielt laut der Exit-Polls die Stimmen von insgesamt 54 Prozent der Wählerinnen. Biden hatte vor vier Jahren 57 Prozent bekommen.Letztendlich hatte Harris versucht, die Wahl zur Abstimmung über Trumps Charakter zu machen. Sie warnte vor seinen faschistischen Neigungen und stellte den vorbestraften Ex-Präsidenten als Gefahr für die Demokratie hin. Doch damit konnte sie nur bei gut einem Viertel der Wähler punkten. Mehr als die Hälfte der Wähler gab an, dass es ihnen wegen der hohen Inflation seit Ende von Trumps 1. Amtszeit schlechter geht. Auch spielten die von Trump herauf beschworenen Gefahren durch illegale Immigration eine größere Rolle als angenommen.28 Prozent der Amerikaner ist egal, wer gewinntAm Ende hatten allerdings bereits acht von zehn Wählern sich schon Anfang September entschieden, für wen sie ihr Kreuz machen. Und überraschend: In den politisch so gespaltenen Vereinigten Staaten war es für über ein Viertel der Amerikaner egal, wer am Ende der historischen Präsidentenwahl ins Weiße Haus einzieht. Bei einer Umfrage am Wahltag von „Talker Research“ gaben 28 Prozent aller Erwachsenen (jeweils 50 Prozent Republikaner und Demokraten) an, dass sie nach Monaten voller Wahlkampf-Werbungen im TV, Wahlspenden-Aufrufen per SMS und tägliche Aufregung um neue Umfragen einfach nur ihre Ruhe haben wollten.Besonders hoch war die Apathie bei Millennials. 35 Prozent wollten einfach nur, dass die Wahl endlich vorüber ist und wieder Normalität einkehrt.Der „scheue Trump-Wähler“ ist zurückDie letzten Prognosen vor der Wahl zeigten noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trump und Harris. Doch die entscheidende Frage, die kein Experte bis zum Wahlabend beantworten konnte: Gab es wie 2016 und 2020 das Phänomen des „scheuen Trump-Wählers“, der die Meinungsforscher entweder anlog oder bei Umfragen unterrepräsentiert war. Die Antwort ist: Ja. Denn in allen Swing States hat er entgegen der Umfragewerte zu 2020 Boden gutgemacht.Harris dagegen verlor in Gegensatz zu Joe Biden an Wählerstimmen – insbesondere in den demokratischen Hochburgen. Selbst Bruchteile eines Prozents hier und da machen bei einer engen Wahl den Unterschied. Auch wenn es bisher nicht offiziell ist, für die „New York Times“ war bereits am Wahlabend klar: Der nächste Präsident wird mit 87-prozentiger Wahrscheinlichkeit Donald Trump heißen.