Massenproteste in Belarus, die mögliche Machtübernahme, den Tod von Lukaschenko, KGB-Agenten und die entscheidende Rolle von Frauen in der Politik: Die belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja, die seit ihrer Flucht aus Belarus im Jahr 2020 im Exil lebt, setzt sich weiter unermüdlich für Demokratie und die Freiheit ihres Landes ein. Im krone.tv-Interview spricht sie unter anderem über die bevorstehenden Wahlen 2025.
In einem Konferenzraum eines Hotels in Wien-Donaustadt trifft krone.tv die Oppositionsführerin, die seit der letzten Präsidentschaftswahl in Belarus im Exil lebt. Elf Interviews an einem Tag ist ihr Rekord. Heute sind es „nur“ vier. Im Rahmen des „Eastern Partnership Civil Society“- Forums ist Swetlana Tichanowskaja in der österreichischen Hauptstadt zu Gast. Am Mittwoch diskutiert die 42-jährige Demokratin über die notwendigen Fortschritte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, demokratische Institutionen, Verwaltungsreformen und wirtschaftliche Kriterien für EU-Beitrittsprozesse – unter anderem für Belarus.Im Interview mit der „Krone“ blickt die Aktivistin auf ihr Land und die bevorstehende Wahl 2025. Kommenden Juli hätte in Belarus die nächste Präsidentschaftswahl stattfinden sollen – doch Machthaber Alexander Lukaschenko hat den Termin überraschend auf den kalten Jänner vorverlegt. Ein geschickter Schachzug? Tichanowskaja dazu: „Wir glauben, dass er diese sogenannten Wahlen in den Januar verschoben hat, weil er immer noch Angst hat. Trotz vier Jahren ständiger Unterdrückung weiß er, dass die Menschen sich ihm widersetzen könnten. Doch es ist viel schwieriger, im Winter auf der Straße zu sein. Er will kein Risiko eingehen.“, so die Oppositionsführerin.Lukaschenko wird Lukaschenko ersetzenFür Tichanowskaja kann aber von keiner demokratischen Wahl die Rede sein: „Das, was Lukaschenko vorhat, hat nichts mit Wahlen zu tun, denn es wird mehr an eine militärische Operation erinnern als an eine Wahl“, erklärt sie. Vor allem, weil in Belarus politische Gegner inhaftiert oder ins Exil gedrängt werden. Freie Medien sind zerstört, die Zivilgesellschaft unterdrückt: „Die Menschen leben in ständiger Angst – freie und faire Wahlen sind unmöglich. Es wird eine Wiedereinsetzung Lukaschenkos durch Lukaschenko selbst sein. Niemand wird Stimmen zählen, er schreibt die Zahlen, die er braucht“, so Tichanowskaja.„Nicht der richtige Moment, Menschen zu opfern“Ob es wieder zu Massenprotesten kommt? „Das glaube ich nicht“, gibt sich die Aktivistin pragmatisch: „Und ich werde meine Leute nicht dazu aufrufen, auf die Straßen zu gehen, denn es ist nicht der richtige Moment, Menschen zu opfern. Politisch würde das nichts ändern.“ Stattdessen setzt sie auf einen „echten Moment der Gelegenheit“, der mit einem Sieg der Ukraine, einer wirtschaftlichen Krise oder einem anderen Wendepunkt, etwa Lukaschenkos Tod, einhergehen könnte: „Ich bin absolut sicher, dass es in diesem Moment nur eine sehr kurze Zeitspanne geben wird. Aber die Menschen, die im System sind, werden eine wohlhabende Zukunft wählen. Sie werden eine europäische Zukunft wählen, weil wir schon jetzt sehen, wie viele Menschen im Lukaschenko-System, die mit ihm zusammenarbeiten, ebenfalls Veränderungen wollen“, erklärte sie. Sie ist nicht alleine. Im Land selbst versorgen ihre Unterstützer sie mit Interna: „Insider liefern uns Informationen, sie leaken uns verschiedene Einblicke. Sie sprechen sehr heimlich, diskret mit uns. Und Lukaschenko weiß das. Er hat Angst, von seinem eigenen Volk verraten zu werden.“Die Rolle der Frauen: „Mütter des Landes“Als Trägerin des „Woman for Peace and Security Award“ betonte sie die besondere Rolle von Frauen in der Politik und Zivilgesellschaft: „Frauen zeigen mehr Menschlichkeit und kümmern sich um Frieden und Sicherheit. Sie sind wie Mütter des Landes. Ich erinnere mich, wie in unserem Land 2020 drei Frauen – Maria Kolesnikowa, die immer noch im Gefängnis ist, Veronika und ich – es wirklich geschafft haben, uns in nur sieben Minuten zu einigen, einfach unseren Kurs gemeinsam fortzusetzen.“Das ganze Interview sehen Sie oben im Video.