Eine Waffenruhe hört sich im fürchterlichen Krieg in der Ukraine sehr verlockend an - dem Präsidenten des kriegsgebeutelten Landes Wolodymyr Selenskyj zufolge würde sie die derzeitige Situation allerdings wohl nicht verbessern. Im Gegenteil, würde ein solcher Schritt lediglich Russland in die Hände spielen, das wieder Zeit hätte, Löcher zu stopfen - um dann mit noch mehr Wucht wieder anzugreifen …
Eine Waffenruhe würde Russland ermöglichen, seine Munitionsreserven aufzufüllen, warnte Selenskyj am Donnerstag bei seinem Besuch im baltischen Staat Estland. Russland verhandle derzeit mit dem Iran über Raketenlieferungen, aus Nordkorea habe es eine Million Schuss erhalten.Moskau habe ein „großes Defizit“ bei Drohnen, Artillerie und Raketen und könnte dann weiter aufrüsten. Es sei kein Zufall, dass sich Moskau beim Iran und bei Nordkorea mit Waffen eindecke, gab Selenskyj zu bedenken. Auch gebe eine Feuerpause Russland die Chance, sich neu zu positionieren und neu zu formieren. „Wir sehen, dass dieses Defizit ihre Widerstandsfähigkeit auf dem Schlachtfeld beeinflusst.“ Die Ukraine werde nicht das Risiko eingehen, Russland zwei bis drei Jahre Zeit zu gewähren. „Es kann uns dann überwältigen, und das werden wir nicht riskieren.“Werbung für NATO-MitgliedschaftDer Staatschef der Ukraine warb zudem noch einmal für die NATO-Mitgliedschaft seines Landes. Dies wäre nicht nur die beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine, sondern auch für die an Russland und teils auch Belarus grenzenden baltischen Staaten und Polen. Ohne die Unterstützung der EU für sein Land sei ein Überleben der Ukraine schwierig, ergänzte Selenskyj. Damit bezog er sich auf Verzögerungen bei einem neuen Paket an Finanzhilfen der Europäischen Union.Bei Estland bedankte sich Selenskyj für die „ständig spürbare Unterstützung“, die der EU- und NATO-Mitgliedsstaat, wie die Ukraine eine frühere Sowjetrepublik, für sein von Russland angegriffenes Land leistet. Estland habe die Ukraine in vielerlei Hinsicht unterstützt und mit bereits 17 gelieferten militärischen Hilfspaketen seine Führungsrolle demonstriert, sagte Selenskyj nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Alar Karis in Tallinn.Estlands Präsident rief auch andere Verbündete auf, ihre Militärhilfe zu erhöhen. „Die Ukraine braucht mehr und bessere Waffen“, sagte Karis. Dabei dürften keine Beschränkungen gesetzt werden. „Wir müssen Europas militärische Produktionsfähigkeit steigern, damit die Ukraine bekommt, was sie braucht. Und nicht erst morgen, sondern sie sollte es heute bekommen.“Selenskyj in besonderem Look, aber stets in OlivgrünSelenskyj fügte seinem Standard-Look in Estland einen besonderen Akzent hinzu: Auf dem olivgrünen Pullover des 45-Jährigen waren am Donnerstag in Tallin im linken Brustbereich kleine Koordinaten gestickt. Sie kennzeichnen den Ort des von ukrainischen Raketen Mitte April 2022 im Schwarzen Meer versenkten russischen Kreuzers „Moskwa“ (Moskau). Von Regierungschefin Kaja Kallas erhielt Selenskyj als Geschenk einen weiteren olivgrünen Pullover, den er gleich zu seiner Rede im estnischen Parlament anzog. Darauf geschrieben steht der estnische Begriff „Kaitsetahe“ - auf Deutsch etwa: Verteidigungswille. Dieser sei auch in den Herzen vieler Ukrainer vorhanden, betonte Selenskyj in seiner Ansprache.Habsburg fordert mehr Unterstützung durch EU Karl Habsburg-Lothringen, der Enkel des letzten österreichischen Kaisers und Präsident der Paneuropabewegung Österreich, hat unterdessen scharfe Kritik an der Ukraine-Politik der EU, aber auch an der FPÖ und der Bundesregierung geübt. Unter dem Motto „Mut zur Verantwortung“ forderte er in seiner jährlichen Rede zur Zukunft der EU am Donnerstag in Wien mehr Unterstützung für Kiew und eine „echte europäische Außenpolitik“.In der Ukraine gehe es nicht nur um einen Krieg Russlands gegen die Ukraine, es gehe um eine „Verteidigung Europas gegen ein despotisches System“, betonte Habsburg. Würde Russland den Krieg gegen die Ukraine gewinnen, würden bald russische Truppen an den Grenzen zu Ungarn, der Slowakei, Rumänien oder Polen stehen. „Europa wäre offen für jegliche weitere Aggression aus dem Despotenregime in Moskau.“ Der russische Machthaber Wladimir Putin wolle keinen Frieden, er habe sich und sein Land auf einen langen Krieg eingestellt.Trotzdem habe es die EU, der „wohlhabende Westen“, bisher nicht geschafft, ausreichend Munition oder Waffensysteme in die Ukraine zu liefern, damit diese eine eindeutige Feuerüberlegenheit erreichen könne. „Je schneller wir mit unserer Unterstützung die Ukraine dazu ermächtigen, die russische Vernichtungsarmee aus dem Land zu treiben, umso schneller ist der Krieg vorbei“, appellierte der Enkel des letzten österreichischen Kaisers und ungarischen Königs, Karl, an heimische und europäische Politiker.Scharfe Kritik an FPÖScharfe Kritik übte Habsburg-Lothringen, der am Donnerstag seinen 61. Geburtstag feierte, auch an der FPÖ - ohne diese jedoch beim Namen zu nennen. Dass diese bei einer Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Parlament Ende März des Vorjahres den Saal verließ, „um dann mit russischen Fahnen für die Neutralität zu demonstrieren, zeugt von einem schweren Hang zum Hochverrat“. „Wer sich von solchen Parteien und Politikern die Inhalte der politischen Debatte diktieren lässt, hat jeden Führungsanspruch verloren“, so Habsburg.